Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs der Traum von einer deutschen Kolonie – einem neuen Deutschen Staat. In Texas bot sich die Gelegenheit dafür. Dort gab es riesige Flächen unbesiedeltes Land. Der Mainzer Adelsverein machte es sich zur Aufgabe in der Gegend nordwestlich von Houston deutsche Siedlungen aufzubauen und wirbelte ordentlich die Werbetrommel. Der Traum war groß, die Versprechungen auch. Halten konnte man damals fast keine. Trotzdem wirkte die Propaganda, denn in Deutschland ging es vielen schlecht. Arbeitslosigkeit und Hunger trieb tausende Menschen dazu, nach Texas auszuwandern.
Auf meiner Recherche-Reise traf ich die Nachfahren dieser Auswanderer. Mit ihnen sprach ich über die deutsche Kultur und Traditionen. Besonders die ältere Generation fühlt sich noch stark mit der deutschen Herkunft verbunden. Als sie in Texas aufwuchs, lebten dort überwiegend Menschen mit deutschen Wurzeln. Überall wurde deutsch gesprochen – in den Schulen, beim Bäcker und in der Kirche. Während des ersten Weltkrieges wurde die Sprache schließlich verboten, viele Menschen vermieden es über ihre deutsche Herkunft zu sprechen. Das hat dafür gesorgt, dass nachfolgende Generationen die Sprache ihrer Vorfahren immer seltener gelernt haben. Dieser Zustand hielt viele Jahrzehnte an und löschte das deutsche Kulturgut zu einem großen Teil aus.
Heute erinnert man sich wieder gern an seine deutschen Wurzeln. Das spiegeln auch die zahlreichen deutschen Volkfeste wieder. Die gibt es nicht nur im German Belt, sondern überall in den USA. Vor allem die deutsche Bierkultur wird ausgiebig zelebriert. Auf dem Wurstfest in New Braunfels durfte ich mir ein eigenes Bild davon machen und wurde mit vielen deutschen Klischees konfrontiert.
Während meiner Reise hatte ich die Gelegenheit viele ältere Menschen zu treffen, die mit dem texasdeutschen Dialekt aufgewachsen sind. Für mich war es eine ganz besondere Erfahrung mit ihnen zu sprechen. Der Dialekt wirkt wie aus der Zeit gefallen. Das interessanteste Gespräch hatte ich aber mit Audrey. Sie ist 31 Jahre und arbeitet als Deutschlehrerin. Den texasdeutschen Dialekt hat sie leider nicht mehr gelernt, dafür belegte sie das Fach Deutsch in der Schule. Viele ihrer Altersgenossen entschieden sich eher für Spanisch, wegen der Nähe zu Mexiko. Das ist auch heute noch so. Deswegen hat Audrey Angst, dass sie als Deutschlehrerin bald nicht mehr arbeiten kann. Die Klassen werden von Jahr zu Jahr kleiner. Audreys Interesse an der deutschen Kultur ist dagegen sehr groß. Sie singt im deutschen Chor und war schon oft im Urlaub in Deutschland. Berlin ist ihre Lieblingsstadt. Hier möchte sie unbedingt nochmal hinreisen. Ihre Vorfahren kamen 1846 aus Friesland. Mit ihren Eltern will sie irgendwann mal dorthin fahren und sich auf die Suche nach Verwandten machen.
Die Begegnung mit Audrey war für mich besonders wichtig. Ihre Perspektive und Haltung zur deutschen Kultur haben mich fasziniert. Wenn ich die Möglichkeit bekomme nochmal nach Texas zu fliegen, möchte ich mich mit weiteren Menschen ihrer Altersgruppe treffen. Sie sind komplett an die amerikanischen Lebensverhältnisse angepasst und trotzdem findet man bei Ihnen Spuren der deutschen Herkunft. Dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Archivmaterial der ersten Siedler und den Erzählungen ihren Nachfahren, die heute in der 5. oder 6. Generation im German Belt leben, möchte ich in meiner Arbeit abbilden.